Freies Wort Suhl, 28. September 2007
Philharmonie wird deutlich abgespeckt

GOTHA – Nachdem die Stadt Suhl am Mittwoch den Finanzierungsvertrag für die Thüringen-Philharmonie ab 2009 gekündigt hat, muss das Orchester rund ein Viertel seiner Musiker entlassen. Das erklärte Bärbel Schreyer vom Trägerverein gestern nach einer Krisensitzung mit Vertretern von Stadt und Landkreis Gotha. Von den 66 Musikern könnten ab 2009 nur um die 50 bleiben, sagte Schreyer.
Das Orchester muss verkraften, dass die bisherige Förderung Suhls in Höhe von 500 000 Euro ausbleibt. Und: Das verkleinerte Orchester kann nicht mehr so viele Aufträge annehmen wie bisher, was weitere Verluste beim Einspielergebnis nach sich zieht.
Glück im Unglück: Sowohl Stadt und Landkreis Gotha als auch der Freistaat Thüringen wollen dem Beispiel Suhls wohl nicht folgen. Detleff Baer, Sprecher des Thüringer Kultusministeriums, erklärte gegenüber unserer Zeitung, das Ministerium stehe zu seiner Förderzusage von 1,15 Millionen Euro. Gothas Oberbürgermeister Knut Kreuch (SPD) signalisierte Schreyer zufolge, Gotha halte an seiner angekündigten Aufstockung des Zuschusses auf 500 000 Euro fest. Auch der Landkreis wolle im Boot bleiben. Entscheidungen der Stadt und des Kreises werden im Oktober erwartet.

FRANK HOMMEL

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Traurig mit stehendem Applaus
In Suhl hat die Thüringen-Philharmonie trotz Zukunftsangst ihre Spielzeit eröffnet.
VON STEFAN REISNER

Symphonie zur Erinnerungsfeier für einen großen Menschen – heißt Ludwig van Beethovens Dritte in Es-Dur genau. Jene hatten sich Alun Francis und die Thüringen-Philharmonie Gotha-Suhl zur Eröffnung der neuen Saison vorgenommen. Doch welch Zwiespalt, der sich in der Zwischenzeit ergeben hatte. Als große Menschen dürfte keiner der Musiker einen der Stadträte sehen, die eine Stunde vor dem ersten Ton gegen eine Weiterfinanzierung des Orchesters gestimmt hatten. Als heldenhaft dürfte diese Entscheidung auch nicht gewertet werden. Das Orchester ist wieder einmal zum Spielball der Politik geworden.
Das kann traurig oder wütend machen. Genau musste man nicht auf die Interpretationen hören, um beide Nuancen entdecken zu können. Kräftig die beiden Schläge, mit denen das Orchester Beethovens Eroica eröffnet, energiegeladen die Einwürfe in den Trompeten, die Hörner schrieen ihre Melodien heraus, am Beginn des Finalsatzes stürmten die Streicher vorwärts und an dessen Ende entlud sich die Musik in nicht enden wollenden Schlussakkorden – wo der Komponist dem Orchester ein Fortissimo unter die Notenzeilen schrieb, setzten die Musiker noch eins drauf. Großartig spielte die Solo-Oboe das bekannte volksliedhafte Hauptthema. Nur die Lebensfreude, die es ausdrücken soll, wollte sich vor diesem Hintergrund nicht einstellen.
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Stehende Ovationen
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Tief berührend wie schon lange nicht mehr spielte das Orchester den zweiten Satz. Der Trauermarsch sollte, wäre es nach einigen Musikern gegangen, als einziger Satz aus der Beethoven-Symphonie gespielt werden. Doch Francis wollte das nicht zulassen. „Weil wir Profis sind“, sagte er. „Wir spielen für Sie, für unser Publikum.“ Noch düsterer als c-Moll ohnehin schon wirkt, bekam es die Philharmonie an diesem Abend hin – tieftraurig bis zum letzten Takt.
Das Suhler Publikum feierte die Interpretation am Ende minutenlang mit stehenden Ovationen. Doch der lange Applaus war auch als Zeichen der Solidarität mit dem Orchester gedacht. Denn vor der Eroica war die Suhler Entscheidung vom Publikum mit lauten Pfui- und Buhrufen quittiert worden.
Linus Roth, dem im Programm versehentlich das Klavier zugeordnet wurde, kam als Solist des Abends im ersten Teil des Konzerts dann doch mit seiner Stradivari „Dancla“ von 1703 auf die Bühne. Nach feuriger Ouvertüre von Mozarts Zauberflöte durch das Orchester stellte er im Haus Philharmonie ein beeindruckendes Violinkonzert von Felix Mendelssohn Bartholdy vor.
Anfängliche Verständigungsschwierigkeiten zwischen jungem Solist und Orchester waren schnell beseitigt und Roth hatte die beste Gelegenheit, mit seinem emphatischen Spiel zu überzeugen. Er zeigte Biss, meisterte spielend die schwierigen Doppelgriff-Passagen, machte tiefe Verbeugungen mit seinem Instrument, spielte auf Zehenspitzen weiter und holte die traurigsten Töne hervor – die leider so gut zu diesem Abend passten.
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Rolle des Schlächters
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Das Eröffnungskonzert könnte die Totenmusik für die Thüringen-Philharmonie gewesen sein. Dennoch war es ein emotionales, es berührte und es war, ähnlich dem im Sommer 2006, als am Tag des Auftritts eine schwerwiegende Entscheidung wenige Minuten vor Beginn die Musiker traf. Vor über einem Jahr war der Freistaat und dessen Kultusminister der Buhmann, als er die Förderung völlig einstellen wollte.
Zur Eröffnung der letzten Suhler Spielzeit ist der Kultusminister nun einigermaßen rehabilitiert. Doch nach nur wenigen Tagen der Zuversicht für das Orchester ist wieder alles offen und scheinen Suhls Oberbürgermeister und 17 Stadträte die Rolle des Schlächters übernommen zu haben.

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Eine lange Vorgeschichte
VON PETER LAUTERBACH

Die Thüringen-Philharmonie hat am Mittwochabend im Wissen um die Suhler Stadtratsentscheidung ein fabelhaftes Konzert gespielt. Das zeigt: Der Wille der Musiker, wie eh und je Kunst und Kultur in dieser Stadt zu prägen, ist trotz allem ungebrochen. Vor dieser Geste kann man sich eigentlich nur verbeugen. Weit entfernt davon das Votum der Stadträte: Sie sind weder Willens noch haben sie die Möglichkeit, solche künstlerischen und kulturellen Prägungen auch künftig zu bezahlen.
Diese Einstellung ist so wenig vom Himmel gefallen wie das Suhler Haushaltsloch. Beide haben eine Vorgeschichte. Dass die Stadt angesichts des Millionengrabs CCS irgendwann pleite sein würde, konnten sich selbst Laien seit langem an zehn Fingern ausrechnen. Auch ist beileibe nicht neu, dass einige Kommunalpolitiker das heimische Orchester nicht erst seit ein paar Tagen für verzichtbar halten. Nun kam das eine zum anderen und die Philharmonie auf die Streichliste des Stadtrates.
Die Suhler Musiker kämpfen seit Jahren an vielen Fronten. Da war nicht nur das frostige Klima, dass ihnen jahrzehntelang aus einem von Martin Kummer geführten Rathaus entgegenschlug. Da ist auch die Mitte der neunziger Jahre erzwungene Verbandelung mit dem Gothaer Orchester, die den Suhlern ein gutes Stück Identität kostete. Da war das Ansinnen des Landes, das Orchester einfach von seiner Förderliste zu streichen. Und da ist schließlich die Spielstätte CCS mit seinem für Sinfoniekonzerte viel zu großen Saal, weil die Stadt weder Willens noch dazu fähig war, das schmucke Kulturhaus mit seiner intimen Atmosphäre zu renovieren und zu modernisieren. Im CCS aber fühlen sich die wenigsten Konzertbesucher wohl.
Ein solches feindliches Klima hat über Jahre dazu geführt, dass das Orchester – anders als etwa in Meiningen, wo das Theater sakrosankt ist – sich heute nicht mehr so fest im Herzen der Stadt verankert vorfindet. Das hat dazu geführt, dass ein Stadtrat dieses Orchester einfach vom Tisch wischen kann. Die Musiker haben all die Jahre verzweifelt dagegen angespielt. Sie haben das ihnen Mögliche getan. Das gebührt Hochachtung.

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