Freies Wort Suhl, 15. September 2007
Die Qual der Wahl unter den Grausamkeiten

KOMMUNALPOLITIK

In der Suhler Finanzmisere rächt sich jetzt, dass es in Thüringen keine klaren Regularien zur Städte-Zusammenarbeit gibt
VON REDAKTIONSMITGLIED JENS WENZEL
Seit die Stadt Suhl ihre Finanzprobleme öffentlich gemacht hat, muss um die Dinge gebangt werden, die das Leben in einer Stadt lebenswert machen. Denn sie kosten Geld, das nicht vorhanden ist.
Der Vergleich mit dem Eiskunstlaufen drängt sich auf: Im Sport muss neben dem Pflicht- auch ein Kürprogramm absolviert werden. Ohne die Wertungsnoten der Kür gilt der ganze Wettbewerb nichts. An der Kür führt also – obwohl sie keine „Pflicht“ ist – kein Weg vorbei. Die freiwilligen und die Pflichtaufgaben einer Stadt wie Suhl sind dagegen klarer getrennt: Gesetze legen fest, was eine Stadt leisten muss. Zum Beispiel dafür sorgen, dass die Bürger mit Wasser versorgt werden können, dass es Kindergärten und Schulen gibt, dass Sozialhilfe gezahlt wird oder die Straßen unfallfrei befahrbar gehalten werden. Alles, was über diese Verpflichtungen hinaus geht, ist eine freiwillige Leistung, und steht damit zur Disposition. So sehr unverzichtbar sie auch dem Einzelnen erscheinen mag. Wenn das Geld fehlt, dann muss man eben darauf verzichten.
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Hilfe nur unter Bedingungen
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So nüchtern sehen es die Vorschriften des Thüringer Kommunalrechts. Und so unerbittlich schlagen sie in der aktuellen Situation auch zu. Bekanntlich hatte Suhl vorige Woche den finanziellen Notstand ausgerufen: Aktuell fehlen rund drei Millionen Euro in der Kasse. Und die Landesregierung hat Hilfe zugesagt – allerdings mit der Einschränkung, dass man nur dafür sorgen werde, „dass Suhl seinen Pflichtaufgaben nachkommen kann“, wie es der Sprecher des Innenministeriums, Michael Koch, formuliert. Übersetzt heißt das: Es gibt nur Geld, wenn die Stadt selbst bei ihren freiwilligen Leistungen spart.
Den Kommunalpolitikern bleibt damit die undankbare Aufgabe, aus einer Art „Liste der Grausamkeiten“ wählen zu dürfen. Denn auch, wenn der städtische Anteil an der Thüringen Philharmonie als markantestes Beispiel zur Debatte steht – mit dem Verzicht darauf allein ist es längst nicht getan. Zum Vergleich: Der Stadt fehlen drei Millionen, die Philharmonie bringt eine halbe. Und sechs Philharmonien zum Streichen gibt es in Suhl nicht. Soll nicht ganz auf Konzerte verzichtet werden, müssten andere Orchester eingekauft werden – auch das kostet Geld, was das Einsparpotenzial nochmals schmälert. Zudem macht das Beispiel des Orchesters deutlich, dass die Wirkung erst mit Verzögerung einsetzt: Noch existieren Verträge, erst ab 2009 wird eine Streichung greifen.
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Gestaltung mit dem Rotstift
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Die Auswahl dessen, was wegfallen muss, ist der klägliche Rest dessen, was an Gestaltungsspielraum eigentlich in der Kommunalpolitik stecken sollte. Um wenigstens noch etwas für den Tourismus tun zu können, sollte man etwa am Heimattierpark und dem überdachten Schwimmbad, dem Ottilienbad, festhalten, sind sich Suhler Stadträte weitgehend einig. Pech dürften dafür die Freibäder in den Ortsteilen Goldlauter und Dietzhausen haben – mindestens eines von beiden wird dichtgemacht. Weitere ähnliche Entscheidungen stehen an, doch die Diskussionen haben gerade erst begonnen.
Indes: Das Loch in der Kasse klafft jetzt und nicht erst in anderthalb Jahren. Daher führt um die Überbrückungshilfe vom Land kein Weg herum, bis die „schmerzlichen Einschnitte“ (so Oberbürgermeister Jens Triebel) greifen. Doch allein beim Land etwas Geld zu erbetteln, sich Zeit zu erkaufen, um dann weiterzumachen wie bisher, war keine Lösung. Das hat Stadtoberhaupt Triebel klargemacht. Die Bürger sollten schon wissen, was auf sie zu kommt, so seine Ansage. Denn die finanziellen Hausaufgaben zu machen, das kann der Stadt keiner ersparen. Dennoch reiben sich einige Stadträte verwundert die Augen: Triebels Amtsvorgänger Martin Kummer (CDU) hätte die Angelegenheit gewiss unter der Hand geregelt, um der Stadt eine schlechte Schlagzeile zu ersparen – an der Realität geändert hätte es freilich nichts. Deshalb ist Triebels Offenheit zwar bitter, aber durchaus zu begrüßen.
Dass solch eine Situation die Gelüste der Nachbarn weckt, ist nicht weiter verwunderlich. Vor allem aus den Nachbarkreisen Schmalkalden-Meiningen und Hildburghausen kommt die Frage, ob denn der Status Suhls als kreisfreie Stadt noch zeitgemäß sei, angesichts der auf 40 500 gesunkenen Einwohnerzahl. Den eigenen Kreis zu stärken, indem man Suhl hinzu nimmt, das hat schon etwas. Allerdings: Vielleicht ist es doch besser, zu warten, bis die Stadt ihre Finanzen konsolidiert hat. Denn warum sollten die vielen teueren städtischen Einrichtungen mit übernommen werden?
Das Beispiel Philharmonie zeigt, was anderweitig möglich wäre: Die zweite Stadt im Bunde, Gotha, steht bei der Finanzierung des Orchesters nämlich nicht so allein wie Suhl. Hier ist auch das Umland der alten Residenzstadt, der Landkreis Gotha, beteiligt. Das Modell war vor fast zehn Jahren geschaffen worden – damals war kurzzeitig auch die Idee im Raum, das Suhler Umland zur Finanzierung heranzuziehen.
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Jeder ist sich selbst der Nächste
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Doch die Nachbarn lehnten damals dankend ab. Dabei dürften hin und wieder auch ihre Einwohner die Konzerte des Klangkörpers besuchen. „Die Sachsen haben mit ihrem Kulturraumgesetz gute Erfahrungen gemacht“, sagt SPD-Kulturpolitiker Hans-Jürgen Döring. Der Vorstoß, etwas Ähnliches auch in Thüringen zu installieren, sei jedoch im Landtag Ende letzten Jahres gescheitert.
Längst geht es nicht mehr nur um die Philharmonie. Einrichtungen wie der Heimattierpark beträfe es ebenso. „Ein neuer Städteverbund könnte die Aufgabe übernehmen“, rät der für Umwelt und Landesplanung zuständige Linkspartei-Abgeordnete Tilo Kummer. Allein seien die Kommunen doch gar nicht mehr in der Lage, die Aufgaben zu bewältigen.
Regularien, wie so eine Zusammenarbeit aussehen könnte, gibt es indes in Thüringen nicht. Das Innenministerium weiß nur: „Zur Erledigung ihrer Aufgaben können sich Kommunen zu Zweckverbänden zusammenschließen.“ Wie das bei Ehen, die freiwillig geschlossen werden, aber nun einmal so ist: Es braucht in der Regel zwei, die das gleichermaßen wollen. Warum aber sollten sich andere Kommunen ohne Not an defizitären Einrichtungen Suhls beteiligen? Den Meiningern finanziert auch niemand sonst ihr Theater, Oberhof kämpft gerade um die Rennsteigthermen und den Skitunnel. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Immer wieder wird deshalb der Ruf nach dem Land laut, das helfen soll. Endlos sind die Möglichkeiten in Erfurt beziehungsweise Weimar – hier sitzt das Landesverwaltungsamt als obere Kommunalaufsichtsbehörde – auch nicht. Dort lässt man immerhin durchblicken, dass die Anstrengungen der Stadt sehr wohl honoriert werden dürften. Immerhin müssen also wohl nicht alle freiwilligen Leistungen gestrichen werden. Ob das die Suhler mit den Einbußen, die ihnen bevorstehen, versöhnt, bleibt abzuwarten. Wichtiger noch ist, dass die Kuh vom Eis kommt, wie es so schön heißt. Ganz ohne Pflicht- und Kürprogramm.

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