VON LILIAN KLEMENT
Der städtische Offenbarungseid trifft die Thüringen-Philharmonie mit voller Härte: Vor diesem Hintergrund erscheinen die Chancen für eine Zukunft des Orchesters – zumindest mit und in Suhl – sehr fragwürdig. Auch der Kulturausschuss kann sich dieser bitteren Realität nicht verschließen.
SUHL – Der tagte gestern Abend parallel zum Hauptausschuss, dort wurde das Thema Philharmonie allerdings hinter verschlossenen Türen diskutiert. Nicht so im Kulturausschuss, der war öffentlich.
Zweien dürfte der Auftritt besonders schwer gefallen sein – Kulturamtsleiter Matthias Rolfs und Erhard Kretschmann (Freie Wähler), der als Beigeordneter den Oberbürgermeister Jens Triebel vertrat. Kretschmann gehört zudem zu jenem Häufchen in Suhl, das immer in Treue zum Orchester stand und sich vehement für dessen Fortbestand eingesetzt hatte, auch als 1. Vorsitzender des Philharmonie-Trägervereins. Matthias Rolfs also trug die Hiobsbotschaft ins Gremium: Die Bitte des OB, vor dem Hintergrund der Finanzkatastrophe möge der Kulturausschuss noch einmal zum Philharmonie-Beschluss beraten und eine Empfehlung geben. Was im Klartext hieß: Könnt ihr die im Juli beschlossenen 500 000 Euro für das Orchester ab 2009 noch verantworten?
Kretschmann, mit Kloß im Hals: „Mir tut es unheimlich weh, das zu sagen – aber wir sind ab 2009 nicht mehr zahlungsfähig für die Philharmonie. Wir sind jetzt schon zahlungsunfähig. Uns fehlt allein in diesem Haushalt eine Summe, die mehr ist, als das, was die Stadt für freiwillige Leistungen ausgibt. Wir wissen überhaupt nicht, wie wir über die Runden kommen sollen.“
Die Ausschussmitglieder hatten gerade ein paar Stunden zuvor von der neuen Situation erfahren, sie sind betroffen, verunsichert in ihrer Entscheidung. Wer im Kulturausschuss mitarbeitet, der tut dies, weil er ein Kulturmensch aus Überzeugung ist. Das letzte, was ihm einfiele, wäre an einer Grundfeste, wie es die Philharmonie schon seit Jahrzehnten für die Stadt darstellt, zu rütteln.
Position beziehen
Und so appelliert denn Matthias Rolfs an deren Gewissen, diesen Beschluss nicht zu kippen und für das Orchester zu kämpfen, vor allem aus inhaltlichen und moralischen Gründen. Der Kulturausschuss sei schließlich nicht der Finanzausschuss, gibt er zu Bedenken. Ein Argument, das sicher nicht von der Hand zu weisen ist. Und dem einige Ausschussmitglieder geneigt sind, schnell beizupflichten. Wie Kristina Thiers (Die Linke), die anführt, auch anderen Kommunen erginge es finanziell ähnlich schlecht wie Suhl. Was Ingrid Ehrhardt (Freie Wähler), die sich ebenfalls stets für die Philharmonie stark gemacht hatte, so nicht stehen lassen will. Suhls Finanzmisere sei tatsächlich in dieser Dimension einzigartig in Thüringen. So schlimm wie hier würde es in keiner anderen Kommune des Freistaates aussehen, das hätte erst dieser Tage ein leitender Beamter des Landesverwaltungsamtes bestätigt. Man könne die Augen nicht vor der Realität verschließen. Die Stadträte müssten überdies nicht bass erstaunt sein über den Ernst der Lage. Finanzdezernent Erik Reigl habe in jener Stadtratssitzung im Juli, als über die Philharmonie-Förderung entschieden wurde, sehr wohl gesagt, dass die Zahlung der Orchesterzuwendung ab 2009 eben nicht gesichert sei.
Landolf Scherzer, der vor zehn Jahren mit der Philharmonie im Hungerstreik war, weiß nicht, was er empfehlen soll. Damals sei es ebenso darum gegangen, ein Zeichen für den Erhalt von Kultur zu setzen. „Ich halte es für ein sehr schmutziges Spiel der Landesregierung, was nun erneut mit diesem Orchester geschieht, auch den plötzlichen Dreh mit der Erfurter Oper. Goebel wird sich als Bewahrer der Kultur aufspielen, setzt einen Oberbürgermeister, eine ganze Kommune unter Druck, etwas gegen ihren Willen zu tun, und hat obendrein noch den Schwarzen Peter! Das ist doch unsäglich.“
Fred Korn (Die Linke) gibt zu Bedenken, sorgsam abzuwägen. „Wenn wir 2009 weiter zahlungsunfähig sind, dann können wir alle freiwilligen Aufgaben vergessen. Dann kommt der Zwangsverwalter. Und wenn wir als Stadträte mit Fehlentscheidungen daran Schuld sein sollten – also ich ziehe mir diese Hose nicht an“, findet er deutliche Worte. „Eigentlich bin ich der Meinung, dass wir derzeit die Philharmonie-Vereinbarung nicht unterschreiben können.“
Selbst Siegfried Landgraf, der demnächst aus dem Amt scheidende Musikschuldirektor, hat Bedenken, dass angesichts der Lage der OB überhaupt unterschreiben könne. Zum Thema Geld schiebt er noch eine konkrete Frage hinterher. Von der Jenaer Philharmonie wisse er, dass die ihre Konzerte für 12 000 bis 15 000 Euro verkaufe. „Warum macht ein so gutes Orchester wie die Thüringen-Philharmonie einen so schlechten Preis von 3000 bis 5000 Euro und vergibt sich Einnahmen damit?“, fragt er.
„Ich habe ein Gefühl, als müssten wir die Philharmonie zur Schlachtbank führen“, beschreibt Ausschussvorsitzender Hendrik Neukirchner (Aktiv für Suhl), seine Empfindungen. „Warum“, fragt er, „spielen wir nicht alle Einsparmöglichkeiten durch, auch beim CCS? Und warum kann ein kommunaler Haushalt nicht, wie in der freien Wirtschaft, von einer Schuldenabtretung Gebrauch machen?“ Kultusminister Goebel habe sich heimtückisch verhalten, er kenne doch schließlich die Situation von Suhl.
Wenigstens an einem Punkt ist sich der Kulturausschuss nach der emotionalen Debatte dann doch einig. Der Vorschlag von Ingrid Ehrhardt (Freie Wähler) wird akzeptiert. Heute kein Dafür oder Dagegen, stattdessen nochmals intensive Beratung in den Fraktionen unter Hinzuziehung der städtischen Finanzexperten. Am 18. September trifft sich der Kulturausschuss erneut, eine Woche vor der Stadtratssitzung, in der dann eine endgültige Entscheidung fallen muss.