356 Jahre Musiktradition in Gotha
 

In keinem anderen Orchester in Deutschland ist die Musikgeschichte der letzten 350 Jahre so präsent wie in der Thüringen Philharmonie, die das älteste Orchester ist, das seit seiner Gründung im Jahre 1651, als Hofkapelle von Herzog Ernst, durchgängig Bestand hat. Im pulsierenden höfischen Leben Gothas sind erste Instrumentalisten bereits 1482 erwähnt, und die letztendliche Gründung eines festen Ensembles zwei Jahrhunderte später bewirkte, dass seit dieser Zeit die kulturelle Identität der Stadt untrennbar mit seinem Orchester verbunden ist.

Im 18. Jahrhundert spielt das längst etablierte Gothaer Orchester eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung des deutschen Musiktheaters. Gottfried Heinrich Stölzel, dessen herausragender Ruf als Komponist zur damaligen Zeit sogar den Johann Sebastian Bachs überragt, bringt seine Erfahrungen, die er auf seiner Italienreise durch den Kontakt mit Vivaldi, Marcello und Scarlatti zusammenbrachte, in die Residenzstadt Gotha, und komponiert dort 14 Opern. Seine Nachfolge tritt Georg Anton Benda an, der sich in seiner Zeit als Hofkapellmeister einen Ruf weit über die Grenzen des Herzogtums hinaus macht. Benda ist schließlich so angesehen, dass die Besetzung der neu einzurichtenden Weimarer Hofkapelle nach Gothaer Vorbild erfolgt.

Ab der Schwelle zum 19. Jahrhundert sind die Gothaer Instrumentalisten führend bei der Entwicklung eines bürgerlichen Musiklebens beteiligt. Bereits ab 1796 finden im "Mohren" in Gotha Abonnementkonzerte statt, die den Gothaer Bürgern ermöglichten, zu einem erschwinglichen Preis Musik auf höchstem Niveau zu genießen. Treibende Kraft ist in dieser Zeit Louis Spohr, der als Violinvirtuose und Komponist hohes Ansehen genießt. Als kongenialer Partner gesellt sich kurzzeitig Carl Maria von Weber zu Spohr, der Gotha als einen geeigneten Ort sah, um sich künstlerisch zu profilieren. Unter Andreas Romberg wird 1819 in Gotha der erste bürgerliche Singverein gegründet. Es zeigt sich bereits damals, dass das Wirken der Hofkapelle stets fest im bürgerlichen Leben verwurzelt war. Einen Höhepunkt in der Geschichte des Gothaer Musiklebens stellt der Bau des Hoftheaters am Ekhofplatz, das am 2.Januar 1840 eröffnet wird. Bedeutende Komponisten wie Franz Liszt, Johann Strauß, Hector Berlioz und der Violinvirtuose Henryk Wieniawski geben sich Gotha die Ehre.

Im 20. Jahrhundert dirigiert Richard Strauss seinen Rosenkavalier in Gotha. Sparvorgaben der Landesregierung während der Weltwirtschaftskrise zwingen das Landestheater Gotha kurzzeitig zur Fusion mit Altenburg, jedoch ist im Jahre 1931 wieder die Selbständigkeit erreicht. Obwohl das Theater 1945 in Schutt und Asche liegt, wird bereits in diesem Jahr der Spielbetrieb im Behelfstheater "Parkpavillon" wieder aufgenommen, und die Gothaer bringen zu denVorstellungen Briketts und Lebensmittel für die Künstler mit, um die Aufführungen zu ermöglichen. In der Folge wird das musikalische Angebot in der Stadt durch das 1951 zum "Landessinfonieorchester" erhobenen Klangkörpers ständig verbessert.

Den Anforderungen der heutigen Zeit hat das Orchester wie kaum ein anderes gemeistert. Stets offen für neue Wege, führt 1998 die Fusion mit dem Suhler Orchester zur Thüringen Philharmonie Gotha-Suhl zu neuen Möglichkeiten. Das Angebot an Konzerten kann noch erweitert werden, das aus 85 Musikern bestehende Orchester kann groß besetzte Werke aufführen und auch äußerst erfolgreiche Tourneen nach Thailand, Spanien, Holland, Frankreich durchführen sowie in den großen Konzertsälen Deutschland gastieren, u. a. in der Kölner Philharmonie, dem Gasteig in München, der Tonhalle Düsseldorf und der alten Oper Frankfurt. Mit einer Einspielquote von 14 Prozent steht die Thüringen Philharmonie auch in der Wirtschaftlichkeit deutschlandweit mit an der Spitze. Die 2004 erfolgten Kürzungen können die Musiker durch Gehaltsverzicht ohne Qualitätsverlust abfangen.
Als Gotha das Theater genommen wurde, hat die Stadt auf ihr Orchester gesetzt, um ein hervorragendes musikalisches Angebot in der Stadt sowie ein kulturelles Aushängeschild für das Land Thüringen zu haben. Die jüngere Vergangenheit hat gezeigt, dass dies ein wohlüberlegtes Erfolgsmodell ist.

Dieses soll nun von der Landesregierung zerstört werden, und den Gothaer Bürgern wird ihre kulturelle Identität genommen sowie dem ganzen Land ein einzigartiger kultureller Schatz!

(Text: Barbara Wieczorek)